Janek, wir werden nicht vergessen …

Übersetzung aus dem Polnischen von Barbara Scheile
7. Mai 2019

Wir sagen „Auf Wiedersehen“, manchmal nur kurz „Cześć!“ Ob wir uns aber vergegenwärtigen, dass vielleicht dies die letzten Worte sind, die wir zu einem uns nahen Menschen gesprochen haben, einem engen Freund oder Bekannten?

„Janek, auf Wiedersehen in Rzeszów oder in Hamburg oder wo auch immer.“ Das waren meine letzten Worte, mit denen ich vor einiger Zeit ein Treffen mit Janek beendete. Obwohl ich mit Janek nicht häufig Kontakt hatte, zeichneten sich unsere Treffen stets durch eine außergewöhnlich sympathische Atmosphäre aus, unabhängig davon, ob sie in Polen oder auch in Deutschland stattfanden.

Ich schätzte Ihn für seine treffsicheren Aussagen, in denen er auch bei schwierigsten Sachverhalten kein Blatt vor den Mund nahm. Ich erinnere, als ich vor einigen Jahren auf Einladung der Deutsch-Polnischen Gesellschaft in Hamburg – damals schon als Senator a.D. – um einen Vortrag gebeten wurde.

Es war im April 2012 in der Residenz des Generalkonsuls der Republik Polen.

Das Thema: „Können Polen und Deutsche Vorreiter im Bau des ´´Europäischen Hauses„ werden?“ weckte beträchtliches Interesse, nicht nur unter den Mitgliedern der Deutsch-Polnischen Gesellschaft (es wurde sogar nötig, Reservestühle dazuzustellen), sondern auch unter den Vertretern der Hamburgischen Polonia und anderen Gästen. Selbstverständlich war auch Janek dabei. Ich beendete  wie folgt:

„Ich bin mir dessen bewusst, dass die wechselseitigen polnisch-deutschen Beziehungen mit dem außergewöhnlichen, fast erdrückenden Gewicht der Jahre des letzten Krieges belastet sind. Ich weiß auch, dass noch gegenseitige Voreingenommenheiten bestehen, dass vielfältige Stereotype und wenig wählerische Witze noch ihren Zweck erfüllen. Das lässt sich aber nicht von einem Tag auf den anderen ändern.

Eine objektive Bewertung des gewaltigen Wandels, der sich vollzog, zwischen Polen und Deutschen, erlaubt festzustellen, dass das, was mit „Wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung“ begann, gute Früchte trägt. Das beweist auch die besondere Bravour und Meisterschaft im Wiederaufbau und Neubau. Das weckt Hoffnung auch im europäischen Kontext.

Menschen, die nicht nur nach Schema F denken, nehmen die gefährlichen Wellen wahr, die unser „Europäisches Haus“ gefährden. Die Fundamente dieses europäischen Baus zu festigen, darin sollten Polen und Deutsche Anderen ein Beispiel sein. Wir müssen zu den Wurzeln zurückkehren, zu dem (ursprünglichen) Fundament der Europäischen Union. Wir müssen zurückkehren zu dem Sinn des Handelns der Väter Europas, und ganz besonders zu dem von Robert Schuman.

  • Haben wir viel Zeit?  –  Darf man zögern?  –  Lassen wir den Meister von Weimar, Johann Wolfgang von Goethe, uns antworten:

 

„Was immer du tun kannst oder erträumst zu können, beginne es. Kühnheit besitzt Genie, Macht und magische Kraft. Beginne es jetzt.“

Die Diskussion war interessant und teilweise scharf. Ich betonte die Bedeutung von Wahrheit beim Aufbau aufrichtiger und verlässlicher polnisch-deutscher Beziehungen. Das war ganz im Sinne von Janek, der zu mir sagte:  –  „ Du bist ein weiterer Mensch, der mich in der Überzeugung bestärkt, dass es nötig und wert ist, weiterhin zum Wohle der Wahrheit zu arbeiten.“ Wir haben dann lange miteinander gesprochen. Er stellte mir kurz die vom Drama des II. Weltkriegs zerfurchte Geschichte seines Lebens dar. Ich denke, sie könnte ein vortreffliches Drehbuch für einen interessanten Film abgeben.

Janek wurde im Januar 1944 im Oppelner Schlesien (Śląsk Opolski), unweit von Koźle (ehem. Cosel), geboren. Seine Mutter, Anna, war Schlesierin, sprach im Alltag schlesische Mundart. Zuhause wurde ein bisschen Deutsch, ein bisschen Polnisch, ein bisschen Tschechisch gesprochen, so erzählte er es mir. Die Mutter sang wunderschön schlesische Lieder, die sich Janeks Gedächtnis tief einprägten. Nach der Hölle des Krieges kam die Familie Dolny nach Schlesien zurück, das sich jetzt in den Grenzen Polens wiederfand. Sein Vater, auch Jan, der als deutscher Staatsbürger in der Wehrmacht dienen musste (nach dem Krieg kehrte er aus der amerikanischen Gefangenschaft zurück), wurde 1947 zu Unrecht wegen Sabotage angeklagt und zum Tode verurteilt. Auf das Flehen der Mutter hin, gerichtet an Aleksander Zawadzki, wurde (die Todesstrafe) in lebenslängliche Freiheitsstrafe umgewandelt (im Gefängnis saß er bis 1954). Über diese leidvolle und völlig grundlose Anklage, begründet ausschließlich mit der deutschen bzw. de facto schlesischen Herkunft von Jan Dolny Senior, schrieb einmal mein Freund, Professor Leon Kieres.

Janek war samt seiner Familie über eine längere Zeit mit Prudnik verbunden.  In der dortigen Schule traf er auf hervorragende Lehrer, die ihm halfen, obgleich sich auch da dumme Menschen fanden. In Prudnik empfing er auch die Erstkommunion.  Er erfuhr sowohl Gutes als auch Schlechtes – so seine Erinnerung.

Im Frühjahr 1957 entschieden die Eltern, in der sich ergebenden Situation in die Bundesrepublik Deutschland auszureisen. Zu der Zeit, die durch ein gewisses Tauwetter der Regierung von Władysław Gomułka gekennzeichnet war, konnten Personen, die sich als Deutsche fühlten, aus Polen ausreisen. Für den 13-jährigen Janek, Schüler der sechsten Klasse der Grundschule, bedeutete das jedoch eine ziemlich schmerzliche Trennung von seinen Mitschülern und Freunden. Schmerzlich und schwierig, weil er, wie er mir sagte, die deutsche Sprache überhaupt nicht gut sprechen konnte. Aber er schaffte es, obgleich die deutschen Jungen mit beleidigenden Schimpfworten ihm gegenüber nicht sparten. Später schloss er erfolgreich die Mittelschule ab. In Hamburg lernte er auch seine zukünftige Ehefrau Krystyna kennen.

Später nahm Janek eine Arbeit in der Hamburger Werft Blohm & Voss auf. Das war eine schwere Arbeit, aber er bewältigte die neuen Herausforderungen und wurde in höhere Stufen seiner beruflichen Karriere befördert. In dieser Werft, die zum Konzern Thyssen Industrie AG gehörte,  war er mit der Durchführung von Reparaturen an Schiffen aus aller Welt befasst. Hier trat er im Jahr 2007 in den Ruhestand ein.

Schon am Anfang seiner Arbeit in der Werft gesellte er sich zur Hamburger Sektion des Bundes der Polen in Deutschland „Zgoda“, und nach der Gründung der Deutsch-Polnischen Gesellschaft in Hamburg wurde er ihr aktives Mitglied, in verantwortlichen Funktionen (er war stellvertretender Vorstandsvorsitzender). 12 Jahre lang war er auch Abgeordneter im Bezirksamt Hamburg-Mitte.

Jan Dolny – ein loyaler Bürger der Bundesrepublik Deutschland – vergaß jedoch Polen niemals und strich es weder aus seinem Gedächtnis noch aus seinem Herzen. Er legte Wert auf die Bindung  zur Heimat, insbesondere zum geliebten Prudnik. Häufig schrieb er für das dortige „Wochenblatt Prudnik“. Seine Texte waren stets sachlich und emotional zugleich, voller Sorge um Prudnik und Umgebung. Er half auch seiner Stadt, so viel nur möglich war. Er hatte zahlreiche Kontakte zu vielen Orten in Schlesien, in Warschau, Danzig, Posen und Rzeszów.

Ich begegnete ihm gelegentlich in unserer Altstadt, er war begeistert über den Wiederaufbau der Denkmäler und die Entwicklung der Stadt. Er saß gern in „Sfinks“ in der Straße „ul. Kościuszki“. Dort können wir auch die von ihm gestiftete Tafel sehen. Einen besonders engen Kontakt knüpfte er zu dem Redakteur Ryszard Lechforowicz. Seine pointierten Feuilletons erschienen regelmäßig in „Echo Rzeszowa“. Janek war rückhaltlos ehrlich; und das habe ich an ihm sehr geschätzt. Als er sich z. B.  mit den kontroversen Texten im „Echo“ nicht einverstanden erklären konnte, wollte er das Schreiben aufgeben. Nach einem Wechsel in der Redaktion nahm er davon Abstand. Seine Sprache hatte eine besondere Farbe, die ebenfalls vom schlesischen Denkstil herkam – herrlich schlicht (niemals grob) und dabei ins Schwarze treffend. Wie mir bekannt, war Janek Mitglied im Verband Polnischer Journalisten. Vollkommen verdient.

Am 14. November 2000 wurde Jan Dolny vom Präsidenten der Republik Polen (damals war es Aleksander Kwaśniewski) mit dem Kavalierskreuz des Verdienstordens der Republik Polen geehrt. Im Amtsblatt der Republik Polen MONITOR POLSKI vom Jahr 2001, Nr. 2, Position 42 steht bei seinem Namen geschrieben: „für hervorragende Verdienste seines Wirkens in der deutsch-polnischen Verständigung“.

An dieser Stelle ist es wert, dass auch der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Hamburg gedankt wird, für ihre um Wahrheit bemühte gute Arbeit im Aufbau der Beziehungen zwischen Polen und Deutschen. Besondere Worte der Anerkennung richte ich hier an die gegenwärtige Vorstandsvorsitzende, Frau Dr. Viola Krizak und ihren langjährigen Vorgänger, Herrn Gerd Hoffmann. Janek, für die Deutschen Johann, Dolny gehörte diesem großartigen Kreis an. Gehörte, denn am 15. Februar 2019 starb er in Hamburg. Dort wurde er am 27. Februar auf dem Friedhof Öjendorf beigesetzt.

Obgleich wir sagen können: „Non omnis moriar …“ (Ich werde nicht ganz sterben) nehmen wir ständig wahr, wie zerbrechlich das Gefäß menschlicher Existenz ist. Ich bin überzeugt, dass er seinen Lebenslauf mit Lorbeeren krönte, und dass er dieses Gefäß mit Güte, mit Liebe und Verantwortung füllte. Seine Charaktereigenschaften kennen am besten die ihm Nahstehenden: die Ehefrau Krystyna, ebenso die Kinder Alexandra und Sven und die Enkelkinder. Ihnen und dem großen Freundeskreis schließe ich mich an mit  Zuspruch und Anteilnahme an ihrem Schmerz über seinen Tod. Möge der Herr ihn aufnehmen in das ewige Licht. Lassen wir hingegen den poetischen Appell des Priesters Jan Twardowski auf uns wirken:

 

Beeilen wir uns die menschen zu lieben sie gehn so schnell

und die die nicht gehn kommen nicht immer zurück

und nie ist es klar wenn man von liebe spricht

ist es die erste die letzte erste.

 

Übersetzung des Gedichts: Ursula Kiermeier http://www.poerksen.org/PolnischesGedicht.htm

 

Mieczysław Janowski, Rzeszów

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